„Wir waren Ausreißer mit nichts in der Tasche als Sehnsucht.“
Das ist die Geschichte von Novelle, Rofu, Mimi und von mir. Rofu hat nur ein Ohr und ist über das Meer gekommen. Aus Afrika. Mimi ist Engländerin. Sie hat ihren Mann umgebracht, nun versteckt sie sich unter Perücken und hinter dunklen Brillen. Novelle ist noch sehr jung. Sie liebt Mangas und die Sauferei. Manchmal fährt sie einfach aus der Haut oder sie hört Stimmen. Den komischen Namen hat sie von ihrer Mutter. Als unsere Geschichte damals losging, wusste ich das alles noch nicht. Ich, ich heiße Ante, aber alle nennen mich Dante. Wegen des Infernos. Ich bin, genau wie die anderen, auch auf der Flucht. Ich glaube, vor mir selbst. Alles fing damit an, dass zwei Polizisten wegen Mimi in dem Hotel, in dem wir gearbeitet hatten, auftauchten. Ich könnte jetzt noch erzählen, wie Novelle verschwunden und wieder aufgetaucht ist, was wir in Berlin getrieben haben oder wie wir Erleuchtung beim Pilgern nach Altötting erlangten. Aber darum geht es in der Geschichte ja eigentlich gar nicht. Es geht nämlich darum, dass wenn wir schon vor irgendwem oder irgendetwas fliehen, wir uns besser nicht vor unseren Dämonen wegducken sollten. Weil man sonst immer ein Geflüchteter bleiben wird und niemals wo ankommt. Und es geht auch um Heimat, die wie eine Haut ist. Klappentext
„Ich hatte nicht viel. Etwas Kleidung, ein paar Bücher. Sie waren der beste Ort für mich, die Poesie entband mich vom Gewicht der Welt.“
S. 32
Die erste Weihnachtspost, welche ich 2020 erhalten hatte, war eine wunderschöne Buchankündigung des neuen Romans, verpackt als Weihnachtskarte und ich freute mich für den Autor Salih Jamal sowie für alle Lesende, die seine ersten beiden Bücher bereits kennen, auf seine neue Geschichte.
Wusste ich doch bereits, dass Salihs Romane außergewöhnlich waren und mit so viel Tiefgang, dass mich mitten im Dezemberstress die Vorfreude auf Ende Januar packte. Das am 18. Januar 2021 erschienene Buch im Septime Verlag ist inhaltlich wie optisch ein Juwel im Bücherregal.
Inhalt
Alles an den Figuren erinnert an Schiffbruch. Gestrandet in einem kleinen morbiden Seeort, der außer Stillstand nichts bietet. Dort beginnt der Roadtrip von vier sich völlig fremden Menschen. In dem Moment, als die Vergangenheit droht Mimi zu opfern, ziehen alle zusammen los. Nach und nach taucht man ein in die Geschichte durch die Erzählungen der einzelnen Figuren und schließt sie schnell ins Herz.
„Es gibt ohnehin fast nie ein Zurück zu den Orten, die man verlassen hat…“
S. 116
Dante, der nach verzweifelten Momenten auf einem Hochhausdach vor sich selbst und der Liebe flüchtet. Mimi, die ihren Ehemann vergiftet hat, und Novelle, die selbstzerstörerisch am Rande des Suizids durch ihr junges Leben taumelt. Ebenso Rofu der Schreckliches erlebt hat seit seiner Flucht von der lybischen Küste. Teilweise sind die Erzählungen besonders von Novelle und Rofu kaum auszuhalten. Nicht weil es grausam beschrieben steht, sondern weil man sich einfühlt und nachempfindet.
Dieser Roman löst beim Lesen viele unterschiedliche Gefühle aus. Die gesamte Palette ist dabei und dies ist ein Grund, weshalb ich die Geschichte so liebe. Der poetische Schreibstil, die interessanten und gebrochenen Charaktere, die turbulente und erfrischende Story. Ein guter Mix, indem der zielgerichtete und lebendige Roadtrip die Schwere der Charaktere ausgleicht.
Der Schluss ist sehr sehr gut gelungen. Ein besseres offenes Ende habe ich bisher noch nicht gelesen! Chapeau!
Manches Mal im Leben tritt man in eine Dunkelheit, deren Schatten man nie wieder los wird. Egal in welches Licht man geht.“
S. 89
Gerne hätte ich mehr erfahren. Besonders von Dante oder Mimi. Diese Zwei wünsche ich mir auf jeden Fall noch mal in einer Fortsetzung. Mit einem Happy End vielleicht? Auch die Entwicklung und Zukunft von Rofu und Novelle spinne ich in meinen Gedanken weiter und alle vier Charaktere werden mich noch ein Stück begleiten, obwohl das Buch seit Tagen ausgelesen ist.
Ist es nicht das, was einen guten Roman ausmacht? Das er weiterlebt in den Gedanken der Leser?
Für mich ist es so und nun stelle ich Salihs Roman in mein Regal neben „Orpheus“ und „…die grüne Fee“ und werde ab und zu drüber streicheln und mich auf den nächsten „Jamal“ freuen.
Es gibt schon viele und wundervolle Rezensionen zu diesem Buch. Meine ist nur eine kleine Ergänzung und wird bei Weitem dem Roman nicht gerecht. Ich kann euch nur einladen, einen Blick zu riskieren und wenn es euch anspricht, dann kauft das Buch. Ihr werdet es nicht bereuen. Ganz klare Leseempfehlung!
„Das Loslassen der Zeit ist die einzig kleine Unsterblichkeit, die wir dem Universum hier auf Erden abtrotzen können.“
S. 152
Gemäß diesem wundervollen Zitat: Was gibt es Schöneres, als mit einem guten Buch kurz die kleine Unsterblichkeit genießen zu können?
Hier findet ihr eine Leseprobe vom Septime Verlag

ISBN: 978-3991200017
- Auflage Septime Verlag 18. Januar 2021
Hardcover: 22,90€
auch als Hörbuch oder eBook
https://100geschichten.blog/2020/05/22/orpheus-salih-jamal/

Weitere Bücher vom Autor „Orpheus“
Das klingt mal echt interessant. Kommt auf meine Liste. Danke.
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