„Auch Wunden, die nicht heilen, hören früher oder später zu bluten auf.“
Ein idyllisches Bergdorf in Südtirol – doch die Zeiten sind hart. Von 1939 bis 1943 werden die Leute vor die Wahl gestellt: entweder nach Deutschland auszuwandern oder als Bürger zweiter Klasse in Italien zu bleiben. Trina entscheidet sich für ihr Dorf, ihr Zuhause. Als die Faschisten ihr verbieten, als Lehrerin tätig zu sein, unterrichtet sie heimlich in Kellern und Scheunen. Und als ein Energiekonzern für einen Stausee Felder und Häuser überfluten will, leistet sie Widerstand – mit Leib und Seele. Klappentext
Es ist mein erster Balzano, welchen ich gelesen habe und mit Sicherheit nicht mein letzter. Eine traurige Geschichte wundervoll erzählt. Innerhalb weniger Seiten bin ich abgetaucht in die Südtiroler Vergangenheit.
Trina lebt in einem kleinen Bergdorf am Reschensee in Südtirol. Als Mussolini an die Macht kommt, müssen sich die Einwohner in dieser Gegend entscheiden, ob sie in das Nazideutschland umsiedeln wollen oder ob sie dort bleiben und somit fortan fest zum faschistischen Italien gehören wollen. Wer bleibt, darf kein deutsch mehr sprechen und alle Behörden sind ab sofort italienisch. Im Dorf herrscht feindliche Stimmung untereinander. Dableiber gegen Optanten. Trina und ihr Mann Erich entscheiden sich zu bleiben.
„Die Sprachen waren zu Rassenmerkmalen geworden. Die Diktatoren hatten sie in Waffen und Kriegserklärungen verwandelt.“ S. 131
Doch ein wichtiger Teil ihrer Familie wird gehen und Trina erleidet einen großen Verlust, den sie im Laufe ihres Lebens nicht mehr heilen kann. An diese Person ist die Lebensgeschichte geschrieben. Ein wunderschönes Stilmittel, was den Roman sehr persönlich macht und tief in die Gefühlswelt blicken lässt. Ebenso die hervorragende und einfühlsame Übersetzung von Maja Pflug.
„Man muss an den Punkt kommen, an dem man sein Leben wegschmeißen will, erst dann kann man wieder Frieden finden.“ S. 124
Während der Krieg tobt und Hitler für viele zuerst als Befreier gilt, wird nebenher der Staudamm geplant. Mit der Hoffnung, dass die Pläne des Baues wie immer im Sande verlaufen, konzentrieren sich die Einwohner eher auf das Kriegsgeschehen. Gegen den Staudamm wird das Beten und Glauben schon was Ausrichten. Mehr braucht es scheinbar nicht zu tun. Doch Erich hält dagegen und er und seine Frau leisten aktiven Widerstand.
Beide historisch belegte Gegebenheiten (Politik und Bau des Staudammes) laufen nebenher. Die Figuren und das Schicksal dagegen sind fiktiv. Der Autor hat nach langer Recherche und Befragung einzelner Zeitzeugen versucht nah an der Historik und Ortschronik zu bleiben. Der Roman ist eine gelungene Mischung aus einer frei erfundenen Familiengeschichte und Dokumentation einer Gegend und ganzen Generation.
„Die einzige Möglichkeit weiterzuleben ist vielleicht sich zu verändern und nicht zu erstarren.“ S. 276
Die Ebook Ausgabe habe ich vom Diogenes Verlag als Rezensionsexemplar bekommen und war so begeistert, dass ich mir den Roman sofort nach dem Erscheinen kaufen musste.
Das Zeitgeschehen ist eingebettet in einem traurigen Familienschicksal und dies macht beides so interessant und lesenswert, dass man den Roman in kurzer Zeit durchgelesen hat.
Balzano schreibt über eine lebenslange Sehnsucht, nach dem was hätte bleiben sollen. Er beschreibt den Wandel und Verlust voller Demut und mit der unerbittlichen Hoffnung auf ein gutes Ende.
Wunderbar geschrieben, sehr gut recherchiert und toll übersetzt. Absolute Leseempfehlung!
Ich bleibe hier * Marco Balzano * 22€
Erschienen am 24.06.2020 als Hardcover im Diogenes Verlag
In der Mediathek von 3Sat gibt es eine schöne Buchvorstellung, welche bis Juni 2025 anzusehen ist.